Neuerwerbungen für die Sammlungen

Im Frühjahr 2023 konnte das Institut ein Reklameschild des Biochemischen Laboratoriums BIKA in seine Sammlung integrieren. 1920 gründete Valentin Pöhlmann zusammen mit dem Schwäbisch Gmünder Apotheker Robert Nagel die BIKA Chemisch-Pharmazeutische Fabrik in Stuttgart. Zunächst war das Unternehmen in der Rotebühlstraße angesiedelt, ehe es 1928 in die Talstraße in Stuttgart-Ostheim umzog. Die Produktion wurde mit einer Rührmaschine und einer Salbenbereitungsmaschine begonnen. Geplant war eigentlich mehr, aber auch damals machten Pöhlmann Lieferschwierigkeiten zu schaffen: einige benötigte Maschinen konnten aber nur verspätet aufgebaut und in Betrieb genommen werden. Es wurde damit geworben wurde, dass die Produktion unter "ständiger Kontrolle" der beiden Apotheker Fuchs und Lacour aus der ehemaligen Hofapotheke erfolge.

Schwerpunkt war die Herstellung von biochemischen Arzneimitteln nach Dr. Schüßler, später wurde die Produktpalette um weitere "biologische Spezialitäten" erweitert. Die heute ebenfalls wieder sehr bekannte Therapiemethode erlebte in den 1920er Jahren eine sehr große Bekanntheit. Zahlreiche biochemische Laienvereine wurden in dieser Zeit gegründet. BIKA gehörte in dieser Zeit zu den bekanntesten Herstellern der Mittel. Große Konkurrenten waren die Firma Madaus in Radebeul sowie die Firma Schwabe in Leipzig.

Ebenso wie die anderen Hersteller präsentierte BIKA beispielsweise auch auf dem Bundestag des Biochemischen Bundes Deutschland die entsprechenden Produkte, um weitere Kunden zu gewinnen. 1930 hatte die Firma bereits Zweigstellen in Berlin und Hamburg und bewarb das eigene Sortiment als von hoher Qualität infolge einer sorgfältigen Anfertigung. Neben biochemischen Arzneimitteln in Verreibungen, Tabletten und flüssiger Form, wurden ebenso biochemische Salben und Seifen hergestellt. Daneben gab es auch Spezialmittel wie Bikarol oder Bioxosan, über die heute quasi nichts mehr bekannt ist. Der Betrieb wurde schließlich Ende der 1950er Jahre eingestellt und die Firma geriet weitgehend in Vergessenheit. Neben dem nun erworbenen Schild vermittelt eine Bilderserie von BIKA, die bereits im Institut vorhanden ist, einen Einblick in die damalige Produktion. Ebenso sind in der Sammlung einzelne Arzneimittelverpackungen der Firma vorhanden.

 

 

Ein wahrlich gewichtiges Objekt wurde im Januar angeliefert: eine Homöopathische "Reiseapotheke" in Nussbaumfurnier aus dem badischen Ettlingen. Mit ihren Ausmaßen von 68 Zentimetern Länge, einer Höhe von 22 cm und einer Breite von 45 Zentimetern sowie der feinen Intarsienarbeit beeindruckt diese schon rein optisch. Die Apotheke ist zudem gefüllt mit zahlreichen Fläschchen und Etiketten für die Beschriftung.

Unsere Recherchen ergaben, dass die Ettlinger Stadtapotheke bereits 1718 erwähnt wurde und die älteste Apotheke der Stadt ist. 1904 erwarb Friedrich Wilhelm Tummer die Apotheke. Dessen Name ist auch auf den Etiketten zu erkennen, so dass aus diesem Zeitraum wohl die "Reiseapotheke" stammt, die wir bei einem Auktionshaus in Sachsen erwerben konnten. Wie die Apotheke nach Sachsen kam und warum sich unter anderem eine Steuermarke „Notopfer Berlin“ in der Schublade befand, kann noch erforscht werden. Zu vermuten ist jedoch, dass der schwere Kasten womöglich als "homöopathisches Dispensatorium" genutzt wurde.

Für die Lagerung und den Verkauf homöopathischer Wirkstoffe wie allgemein für den Betrieb von Apotheken galten besondere Vorschriften. Manche Apotheker wollten den Kunden zwar die besonderen Arzneimittel anbieten, hatten jedoch keine gesonderten Räumlichkeiten zur Verfügung oder wollten diesen Aufwand auch nicht betreiben. Eine Möglichkeit war dann ein so genanntes "Dispensatorium", das die erforderlichen Wirkstoffe und ihre Potenzen in separierten Schränken oder wie im vorliegenden Fall Kisten enthielt. Auch in dem nun erworbenen Exemplar sieht man beispielsweise, dass stark wirkende Mittel innerhalb der Kiste noch einmal abgetrennt und in extra verschließbaren Fächern lagerten. Dies erforderten beispielsweise die Vorgaben in Württemberg. Baden selbst hatte zwar keine gesonderten Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb homöopathischer Apotheken erlassen, doch achteten die Apotheker vermutlich darauf, durch eine separate Einrichtung das Vertrauen der Kundschaft zu erhalten. Dass Tummer die Mittel nicht immer selbst herstellte zeigen außerdem enthaltene Fläschchen der Apotheke Mayer in Bad Cannstatt.

 

 

Dass die beiden bei einer Auktion im Mai 2023 angebotenen Taschenapotheken eine Besonderheit sind und das IGM daher ein Gebot abgeben würde, war nach der Lektüre der Beschreibung klar: "Homöopathische Taschenapotheken: in Blechdosen zusammengestellt von Dr. med. homoeop. R. Haehl. Dr. Fr. Mauch Göppingen. 1 x Hahnemania Landesverein für den Kriegsbedarf. Mit Glasphiolen bestückt. Mit Anleitungsheftchen. Deckel berieben. Alterssp.". Denn die im Los enthaltenen "Homöopathische Taschenapotheke für den Haus- und Reisegebrauch" war bis dahin höchstens aus entsprechenden Werbeanzeigen aus Laienzeitschriften ein Begriff. Zudem war bisher quasi keine derartige Einrichtung aus der Apotheke Mauch in Göppingen überliefert bzw. bekannt, dass eine solche in anderen Sammlungen erhalten geblieben wäre. Doch das glücklich erworbene Los hielt noch eine weitere Überraschung bereit: die dazu gehörende "Homöopathische Kriegstaschenapotheke der Hahnemannia" entpuppte sich bei näherer Betrachtung als ebenfalls bisher nicht erhaltenes Exemplar.

Die Sammlung des IGM umfasste bis zum Erwerb des Neuzugangs bereits eine leere Kriegstaschenapotheke, die im Laufe ihrer Existenz als Aufbewahrungsbehälter für Schrauben zweckentfremdet worden war und daher in einem nicht mehr ganz so guten Zustand ist. Außerdem gibt es eine nicht ganz vollständig erhaltene Kriegstaschenapotheke der Hahnemannia. Über diese sowie eine ähnliche Einrichtung aus dem Hause Willmar Schwabe war 2019 bei einer Tagung über "Objekte als Quellen der Medizingeschichte" referiert worden.

Die nähere Betrachtung der Neuzugänge zeigte, dass sich der Inhalt der neuen Kriegstaschenapotheke von jenem der bereits vorhandenen unterschied. So sollte diese ursprünglich 14 Mittel erhalten, während die Gebrauchsanweisung der anderen 15 Mittel aufführte. Auch die Zusammensetzung der Wirkstoffe war unterschiedlich. Besonders schön ist es, dass sich in der erworbenen Apotheke die Flasche für das Mittel Ledum, das für eine äußerliche Anwendung gedacht war, erhalten hat. Dieser Wirkstoff war in der bereits vorhandenen Dose nicht mehr genannt. Stattdessen waren dort Arnica und Ferrum phosphoricum enthalten. Doch wie passt das alles zusammen?

Die Lösung ergibt sich, wenn man die Geschichte der Entwicklung dieser Kriegstaschenapotheken betrachtet. Nachdem der Erste Weltkrieg begonnen hatte, entwickelte die homöopathische Laienvereinigung Hahnemannia in Stuttgart ab September 1914 in Kooperation mit der Apotheke Mauch in Göppingen kleine Blechdosen mit homöopathischen Arzneimitteln für die ausgezogenen Soldaten, damit diese sich bei kleineren gesundheitlichen Problemen an der Front selbst helfen konnten. Gedacht war vor allem an die Mitglieder homöopathischer Laienvereine. Die erste Version dieser Kriegstaschenapotheke kosteten 75 Pfennige und umfassten "14 der für die Kriegsbedürfnisse wichtigsten Mittel". Doch bereits ab Dezember des Jahres wurde für eine entsprechende Taschenapotheke mit 15 Mittel geworben. Damit ist klar, dass das neu erworbene Objekt zu den ersten homöopathischen Kriegstaschenapotheken der Hahnemannia zählte, die bereits vorhandene Apotheke ist hingegen wohl auf 1915 zu datieren. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die kleine praktische Blechbüchse weiter hergestellt. Nun wurde sie für sieben Mark als Taschenapotheke für den Haus- und Reisegebrauch weiter durch die Apotheke Mauch in Göppingen vertrieben. Daher ist die andere neu erworbene Dose auf die Zeit nach 1919 zu datieren.

Die Anleitung zum Gebrauch der Mittel und deren Zusammenstellung hatte der homöopathische Arzt Richard Haehl (1873-1932) erarbeitet. Auf diesen geht der Ursprung der IGM-Sammlung zurück. Insofern ergänzen die beiden besonderen Taschenapotheken unsere einzigartige Sammlung in ganz hervorragender Weise.